Beschreibung der Gemarkung Beuern

im Kreise Gießen,
und der in derselben vollzogenen neuen Feldeintheilung, nebst einigen Betrachtungen über Feldeintheilungen überhaupt.
(Verfaßt von Katastergeometer Wießner zu Großenbuseck, Kreises Gießen)

beschrieben 1847 1gekürzt aus: Zeitschrift für die landwirtschaftlichen Vereine des Großherzogthums Hessen. 17/1847 Nr.24 S. 253-261; Nr. 25 S. 267-276; Nr. 27 S. 295-302

Lage des Orts und der Gemarkung. Zwei und eine halbe Stunde von Gießen, am östlichen Ende des schönen Busecker Thals, liegt, vor der Fronte eines in die Breite ausgedehnten, unter 50 bis 60 Grad sich erhebenden Bergrückens, der, früher den Ganerben von Buseck, jetzt zum Kreise Gießen gehörende Ort Beuern. Fast überall von Bergen umgeben und nur durch einen schmalen Thaleinschnitt mit dem Busecker Thal verbunden liegt der Ort ebenfalls an einem unter 6 und resp. 10 Grad sich erhebenden sanften Bergrücken. Derselbe ist regelmäßig gebaut und in seiner östlichen Lage am ausgedehntesten; der mittlere Theil, welcher ohngefähr 1/3 der Häuserzahl in sich aufnimmt und in welchem die Kirche, Synagoge, Schule, das Pfarrhaus etc. liegt, hat eine länglichrunde Form und ist mit einer ziemlich gleichbreiten Straße umgeben, was den Ort einigermaßen angenehm macht. Sehenswürdigkeiten (als Alterthümer) giebt es hier nicht; die Kirche, welche vordem hier stand und ihrer eigenthümlichen Bauart wegen das Interesse der Techniker auf sich gezogen hatte, ist als baufällig abgebrochen worden und eine in neuem Style gebaute Kirche erhebt sich an deren Stelle. An Wasser fehlt es weder dem Orte noch der Gemarkung überhaupt; der Arm des Wieseckbaches, welcher in der Gemarkung entspringt und welcher oberhalb des Ortes schon zwei Mühlen treibt, fließt zum Theil durch den Ort, wo er ebenfalls eine Mühle nährt, und zum Theil an demselben hin; außerdem finden sich fast überall Quellen mit gutem Reinkwasser. – Die Gemarkung, in deren Mitte der Ort liegt, hat fast gleiche Länge und Breite und überhaupt eine gut arrendirte Form. Sie ist gegen Norden von der Gemarkung Allendorf, gegen Westen von der Gemarkung Großenbuseck, gegen Süden von Reiskirchen und Bersrod, und östlich von den Rabenau’schen, zum Kreise Grünberg gehörenden Gemarkungen Gailshausen und Allertshausen begränzt.

Einwohner. Die Anzahl der Einwohner beträgt 1082, in etwa 227 Familien und 171 Häusern. Es bekennen sich 997 zur evangelischen, 1 zur katholischen und 84 zur jüdischen Confession. Die öffentlichen Gebäude bestehen in Kirche, Synagoge, Schulhaus, Pfarrhaus, 2 Gemeindebackhäuser, Spritzen- und Leiterhaus.

Klima. Die Mitte des Orts liegt 950 Fuß über der Meeresfläche. Die denselben umgebenden Berge liegen nur in einer Emtfernung von noch nicht ganz 200 Klafter von den am niedrigsten liegenden Theile 200 Fuß höher wie derselbe. Der höchste Punkt in der Gemarkung liegt 1330 und der niedrigste 860 Klafter über der Meeresfläche. Das Klima auf den Höhen würde man nicht zu den milderen zählen können, wenn nicht die Berge und die auf den höchsten derselben befindlichen Waldungen, welche die Gemarkung, mit Ausnahme des westlichen nach dem Busecker Thale liegenden Theils, umgeben, die starke Winde sehr milderten. Von Gewittern, welche, gewöhnlich von Westen kommend, sich in dieses Thal drängen, hat Beuern nicht leicht etwas zu fürchten, indem der hinter demselben liegende Burghain, welcher 350 Fuß höher wie der Ort liegt sie zurückhält.

Gewerbe. Von den Einwohnern beschäftigen sich 115 Familien mit Ackerbau, 65 ausschließlich und 50 zugleich mit einem Handwerke. Außerdem leben in Beuern 35 Handwerker ohn Gespann, 2 Ellenwaarenhändler, 12 Specereikrämer, 1 Bierbrauer, 1 Branntweinbrenner, 2 Bäcker, 5 Metzger, von denen indessen keiner beständig schlachtet, 6 Wirthe, 4 Müller, 1 Ziegler und 32 Porzellan- und Erdengeschirrhändler. Der letzterwähnte Handel wird ziemlich schwunghaft, meistens in das Ausland und zwar nach Hannover, Dänemark, Preußen (insbesondere nach Schlesien und dem Großherzogthume Posen). Baden Württemberg, in die Schweiz und nach Frankreich etc. betrieben, die Waaren werden theilweise aus Marburg und aus Sachsen (Königsbrück) bezogen. Einige Händler mit Geschirr welche den Handel in der bezeichneten Ausdehnung betreiben haben sich, obgleich früher bettelarm, durch Fleiß, Sparsamkeit und gute Speculation ein Vermögen von 10,000 bis zu 20,000 Gulden erworben, und gehören mitunter zu den meistbegüterten Einwohnern. In Folge einer solchen nährenden Erwerbsquelle hat sich der Wohlstand in Beuern bedeutend gehoben. Es sind in einem Zeitraume von 10 Jahren zwei neue Straßen mit 34 neuen Wohnhäusern ohne die Oekonomiegebäude entstanden. Die erst seit ohngefähr 3 Jahren von einigen Ortsbürgern ins Leben gerufenen Basaltsteinbrüche beschäftigen bei den großartigen Straßenbauten viele Hände und liefern namentlich jetzt zu der im Bau begriffenen neuen Lahnbrücke bei Gießen und der Eisenbahn vortreffliche und schöne Steine. Die durch die Gewerkschaft von Gießen nahe bei dem Orte entdeckten Braunkohlelager haben wegen der Schwierigkeiten welche die allzustarken Wasser dem Betriebe entgegen setzen noch nicht vollständig in Bau genommen werden können, und erfordert der Aufschluß dieser Lager offenbar größere Mittel als die Gewerkschaft aufwendet.

Gemarkungsgröße. Die Größe der Gemarkung beträgt nach der neuen Vermessung 3864 Großh. Hess. Normalmorgen. Hiervor sind 56 Morgen Hofraithegrund und Gärten, 2086 Ackerland, 423 Wiesen und 1247 Wald. Wege, Bäche, nebst einigen nicht culturfähigen Wüstungen, überhaupt das unbesteuerbare Gelände beträgt 50 Morgen.
Von dem Gartenlande werden mindestens 2/3 als Grasland benutzt, das übrige sind Grabgärten, in welchen die nöthigen Sommergemüse gezogen werden; überdies ist das Gartenland mit Obstbäumen – freilich, nach der hier üblichen höchst schädlichen Gewohnheit, zu dicht – bepflanzt.

Ackerbau. Obgleich die Dreifelderwirthschaft, welche in hiesiger Gegend überhaupt einheimisch ist, und insbesondere der Mangel an Feldwegen dem Fortschritte in der Landwirthschaft sehr hemmend waren, so wurde die Feldwirthschaft in dieser Gemarkung, im Vergleiche mit den Nachbarorten, doch ziemlich gut betrieben. Die bekannte Fruchtfolge bei dieser Wirthschaftsmethode, das erste Jahr Brache (jedoch 9/10 mit Sommerfrüchten, als Kartoffeln, Erbsen, Klee, Flachs, den sonstigen Oelgewächsen und Futterkräutern, Kohl, Erdkohlraben etc. bepflanzt), das zweite Jahr Korn oder Weizen, und das dritte Jahr Gerste, Hafer, Wicken, Linsen etc., wurde auch hier angewendet. Es werden jährlich ohngefähr 650 Morgen mit Winterfrucht, d. h. Korn oder Weizen und 350 Morgen mit der besten und vorzugsweise gedüngten Felder mit Weizen. Der Körnerertrag vom Korn berechnet sich pr. Morgen auf 4 ½ – 5 Malter, vom Weizen auf 5 – 6 Malter. Das Gerstenfeld ist durchschnittlich 400 Morgen groß; der Morgen giebt 7 – 8 Malter Körner. Von den 250 Morgen Kartoffelfeld werden im Durchschnitt 10,000 Malter geerntet. Die Aecker werden alle drei Jahre (wenn es einigermaßen der Düngervorrath etc. gestattet) zu Korn, Weizen oder Kartoffeln gedüngt; zu Gerste wird fast nie gedüngt, jedoch aber Mehreres gepfercht.

Wiesenbau. Der Wiesenbau lag hier bis in die jüngste Zeit sehr im Argen; das Wasser, das hier überall in Menge vorhanden ist, hatte sich, seiner Natur gemäß, allenthalben den Weg nach den tiefsten Stellen gesucht, wo es so gut und mit nur weniger Mühe nutzbringend hätte verwenden können. Seit neuerer Zeit und insbesondere seitdem die Wiesen geregelt und ausgesteint sind und das Grundeigenthum gesichert ist, seitdem auch amtliche Anregungen auf den Nutzen der Wiesenverbesserungen hingewiesen haben, sind bereits sehr viele Be- und Entwässerungsanlagen entstanden. Im verflossenen Herbste wurde in Besserung der Wiesen eine sehr umfangreiche Thätigkeit entwickelt, versumpfte Wiesen wurden durch Erhöhung ertragsfähiger, zu hoch liegende durch Abhebung des Grundes der Bewässerung zugänglich gemacht, nachtheiliges Gestrüpp und Moos nach Möglichkeit entfernt und durch Anlegung von Be- und Entwässerungsgräben der Heuertrag und die Güte des Futters sehr ansehnlich vermehrt.

Obstzucht. Obst wird in solcher Menge gezogen, daß neben dem nöthigen Bedarf gewöhnlich auch noch zur Ausfuhr übrig bleibt, doch ist bei den Privatbaumpflanzungen noch eine höhere Intelligenz in der Behandlung zu wünschen. Auch hier findet man den so häufig wahrzunehmenden Mißstand, daß die Bäume im Gärten waldähnlich gepflanzt, daß dieselben nicht gehörig bestangt und verdornt und überhaupt nicht sorgfältig genug gepflegt werden, was freilich auch dem Mangel an kenntnißreichen Obstgärtnern zuzuschreiben ist. Die Gemeinde hat in den letzten Jahren, hauptsächlich veranlaßt durch die bereitwilligen Bestrebungen des Ortsvorstandes, sehr viele Baumpflanzungen angelegt. Es wuden seit 1841 über 600 Stück Bäume auf Gemeindeeigentum oder Wüstungen gepflanzt. Auf deren Pflege, wofür ein besonderer Baumwärter, der zugleich Wegwärter, angestellt ist, wird möglichste Sorgfalt verwendet, so daß diese Baumpflanzungen der Gemeinde demnächst einen sehr reichen Ertrag versprechen.

Holzzucht. Der Gemeindewald, welcher nach der neuen Vermessung 1139 Normalmorgen enthält, meist aus Eichen- und Buchenhochwald besteht und einen vorzüglich guten Boden hat, würde, wenn die Forstverwaltung früher gleiche Wirksamkeit wie jetzt bethätigt hätte, die Gemeinde reichlich mit Brennmaterial zu versorgen im Stande seyn. Die Folgen früherer nachlässiger Bewirthschaftung, bei welcher die besten Bäume und Schläge vor der Reife beseitigt wurden, werden noch lange fühlbar bleiben; indessen ist zu hoffen, daß dergleichen Ungehörigkeiten niemals wiederkehren. Zur Bezahlung der Kosten des Kirchenbaues werden gegenwärtig jährlich 1300 summarische Stecken gefällt. Der ordentliche Ertrag ist nach stattgefundener Betriebsregulierung auf 900 summarische Stecken jährlich festgesetzt, deren Erlös einen bedeutenden Theil der Ausgaben erster und zweiter Classe deckt.

Viehzucht. Die Zählung des laufenden Jahres ergiebt 23 Pferde, 4 Fohlen, 2 Bullen, 64 Zugochsen, 200 Kühe (von welchen ohngefähr 2/3 ebenfalls als Zugvieh benutzt werden), 103 Rinder, 437 Schafe, 318 Schweine, 86 Ziegen, 11 Esel, welche die Müller als Lastthiere benutzen. Die Gesammtstückzahl des Viehes beträgt also 1248, die einen Kapitalwerth von etwa 24,000 Gulden repräsentiren. Die Faselthiere werden, gegründet auf Begutachtung Großh. Kreisthierarztes, auf Kosten der Gemeinde angeschafft und in der Art unterhalten, daß die Pflege zwar einer Concurrenz ausgesetzt, jedoch aber an einen Grundbesitzer vergeben wird, von welchem sich erwarten läßt, daß er den Thieren die nöthige Nahrung und Abwartung zu geben im Stande ist und ihnen dieselben auch wirklich giebt.

Boden und Bodenverbesserung. Von Ackerwerkzeugen wird hier ausschließlich der Wendepflug und die Egge gebraucht, auch die Walze von verschiedenen Ortsbürgern in Anwendung gebracht. Der Ackerbau wird, wie überhaupt in hiesiger Gegend, fast durchgängig mit Ochsen und Kühen betrieben. Diejenigen Grundbesitzer, welche Pferde halten, rechnen mehr auf Nebenverdienste (Lohnfuhren etc.)

Der sehr ertragfähige Boden besteht meist aus einem fetten Lehm- und weniger aus einem schweren Lettenboden, bedarf aber einer guten Bearbeitung, indem sonst das Unkraut sehr überhand nimmt und die Früchte in demselben ersticken. Zur zweckmäßigen Bearbeitung fehlt daher das entsprechende Gespann. Mit einem Paar Kühen, denen oft noch die nöthige Nahrung mangelt, läßt sich dieser schwere Boden nicht regelmäßig bauen, und nur mit den größten Mühselligkeiten kann außerdem der nöthige Dünger auf die meist auf den Höhen liegenden Felder gebracht werden. Solcher Uebelstand ist jedoch nicht leicht zu beseitigen, indem der Grundbesitz auch hier zu sehr zerstückelt ist. Es besitzen nämlich die 115 Ackerbautreibenden von den oben angeführten 2509 Morgen Acker und Wiesen beiläufig 2000 Morgen, das Uebrige gehört der Gemeinde, der Pfarrei und Schule, den Einwohnern gemischter Beschäftigung und den Ausmärkern. Im Durchschnitte trägt es demnach einem jeden Einwohner noch nicht ganz 18 Morgen; von 1/3 derselben besitzt aber keiner über 10 Morgen. Häufig besteht der ganze Grundbesitz eines Einwohners nur in 4 – 5 Morgen Land. Von solchem geringen Besitzthume muß sich gewöhnlich eine Familie mit 2 Kühen ernähren, begreiflich daher, wie sehr sich unter diesen Umständen bemüht werden muß, in Fütterung des Viehes mit Sparsamkeit zu Werke zu gehen. Viele solcher armen Thiere werden nur kärglich ernährt, und mit solchem Gespann kann daher der Acker nicht so sorgfältig und tiefgründig, wie es erforderlich ist, bebaut werden. Hierzu gesellte sich bisher noch der Mißstand, daß der Grundbesitzer, wegen Mangels an richtiger Feldeintheilung und Gewann- und Düngerfuhrwegen, nur mit großer Mühe, zum Schaden seiner Nachbarn, deren Felder öfters auf langen Strecken überfahren werden mußten, seinen Dünger auf die zu bestellenden Felder zu bringen im Stande war. Wie sehr unter solchen Umständen das Fahrvieh zu leiden hatte, davon kann sich nur derjenige einen richtigen Begriff machen, welcher in gleichen örtlichen Verhältnissen lebt.

Gar oft aber mußte der Grundbesitzer auf die Düngung seiner Felder ganz verzichten, wenn zur Zeit der Felderdüngung nasse Witterung eintrat oder zufällig die das zu düngende Land umgebenden Felder bereits besäet waren. Es kam nicht selten vor, das ärmere Einwohner, deren Hauptnahrung aus Kartoffeln besteht, diese ohne Düngung des Landes auspflanzen und deshalb schon im Voraus einer geringeren Ernte und einer Beeinträchtigung ihres Nahrungsbestandes entgegen sehen mußten. Doch nicht die ärmere Klasse allein beklagte solche ungünstige Verhältnisse; die Mehrzahl der Grundbesitzer, ja man kann sagen Alle, empfanden deren Nachtheile mehr oder weniger, indem sie offenbar dem Betriebe des Ackerbaues durchweg eine lästige und den Ertrag beschränkende Fessel anlegten. Eine Menge von Feldvergehen und Strafen deßhalb waren leider außerdem die nothwendige Folge solcher übelbeschaffenen Verhältnisse.

An eine ausreichende umfassende Verbesserung an Feld und Wiesen war unter solchen Umständen um so weniger zu denken, als die Felder völlig ungeordnet in zahllosen kleinen Parzellen durcheinander lagen. Es machte sich daher im Verlaufe der Zeit mehr und mehr der lebhafte Wunsch der Ortseinwohner geltend, daß doch endlich die Zeit erschienen seyn möge, in welcher die erwähnten Nachtheile gehoben werden könnten.


Quellen:

Literatur:
Zeitschrift für die landwirtschaftlichen Vereine des Großherzogthums Hessen. 1847


  • 1
    gekürzt aus: Zeitschrift für die landwirtschaftlichen Vereine des Großherzogthums Hessen. 17/1847 Nr.24 S. 253-261; Nr. 25 S. 267-276; Nr. 27 S. 295-302
Nach oben scrollen