Verhör des Urban Becker und seiner Frau Gertrud

wegen vorehelichen Beischlafs des Rudolph Dörr und seiner Frau

Die Moral verbot noch bis vor wenigen Jahrzehnten unsittliches Verhalten. Hierzu zählte vor- und außerehelicher Sex. Dieser stand unter Strafe, besonders vor dem Kirchengericht. Geprüft wurde auch ob Kinder zu früh nach der Eheschließung auf die Welt kamen. Neben einer Geldstrafe waren Befragungen durch den Kirchenvorstand – bei dem man sich entschuldigen konnte/musste, ein als Büßer vor der Kirchengemeinde im Gottesdienst stehen usw. vorgesehen.
Die weltliche Gerichtsbarkeit konnte von der Kirche als Unterstützung herangezogen werden.
Es ist nicht bekannt ob die folgende Befragung 1HStAD F 28 Nr. 149, war HStAD E 9 Nr. 57/20 – verkürzte Abschrift bei Müller S. 25f vor dem Kirchenvorstand, oder vor dem ganerblichen Gericht in Großen-Buseck stattfand.

“Grosenbuseck, den 26. Marty Ao 1674
Sindt Urban Becker 2FB Großen-Buseck Nr. 45 undt sein Weib Gertrud beyde von Grosen buseck gefordert und wegen Rudolph Dörrn 3FB Großen-Buseck Nr. 205 undt seines Weibs (weilen diese nach gehaltener Hochzeit vor behöriger Zeit undt als zu frühe ins Kindtbett kommen, und, als sie noch eine Weinkaufbraut gewesen, sich in obiger Zeugen Hause bey ihrer Mutter, Körber Kätten, aufgehalten undt allwo Rudolph Dörr damahliger Bräutigamb, nicht nur fleisig bey ihr aus undt eingangen, sondern auch dem verlaut nach offtmahls des Nachts bey ihr im Haus geplieben seyn solle) ob und was sie von solchen beyden derzeit miteinander Ehelich verlobten Personen ungebührliches od[er] ärgerliches gesehen haben, befragt, undt darbey ohne einige … die Wahrheit an eines Leiblichen aydsstatt, undt wie sie solches hiernachst in eventum mit einem Aydt zu bestärcken …, auszusagen traulich erinnert worden, worauf sie also Hand- und Mundgelöbnis gethan und ihre Wissenschaft  folgender Maßen teponirt haben.

Zeuge 1 Urban Becker 49 Jährig Alters … sagt:

Er habe zwar diese beyde, Rudolph Dörrn und seine damahlige braut 4Beider Eheschließung ist die erste Heirat im Kirchenbuch Großen-Buseck. Sie stammt aus dem Jahr 1672. Das Datum ist nicht ersichtlich. Der folgende Heiratseintrag datiert auf den 12. 7bris (=September) 1672. Sie ist die Tochter des “Schreiners von Augsburg”, ihr Name wird nicht genannt., nichts böses mit einander verüben gesehen, allein das sey jedoch gewiß, daß Rudolf Dörr …, als er und seine itzige Hausfrau noch Braut und Bräutigamb zusammen gewesen, die meiste Zeit des Nachts in Zeugens Hause neben seiner Braut und ihrer Mutter in einem Bett geschlafen und seye die Mutter, Körber Katt, viel mahls des Morgens uffgestanden, herunder in Zeugens Stuben kommen und habe Ihre dochter undt deren Bräutigamb droben beysamen liegen lassen, und seye, wann etwas ungebührliches zwischen denen beyden jungen Leuthen vorgegangen wehre, welches Zeug nicht gestehen noch ahsetieren 5wohl attestieren könne, die Mutter mehr schuld dran undt strafen wehrt als die Dochter, weil Jene diese beim Bräutigam zu schlafen nicht nur veranlasset, sondern gar genöthiget
, sintemahlen die Dochter anfangs garnicht darzu verstehen wollen, wie sie dann einsmahls auf Zeugens Frauen zusprechen, als Rudolph Dörr undt seine Schwieger[mutter] nach deme Essen mit einander uff die Kammer schlafen gegangen, hunden in der Stuben pleiben undt bey Zeugens Mägdlein beym Ofen uffm Stroh schlaffen wollen, worüber die Mutter heftig gezörnet, oben herunder gerufen, geflucht undt gesagt, ob sie ihrer Mutter nicht folgen undt sich zu Ihr ins Bett legen wolle? Als aber die Dochter desen ungeachtet dennoch in der Stuben geplieben, seye Rudolph wieder von der Kammer herunder undt zum Haus hinaus gangen, der Braut zurufend: Sie solle nun hinauff gehen und sich ins Bett legen. Bald aber, nach deme die Braut hinauff gegangen undt sich zu Bett geleget, wieder zurück undt zu ihnen auff die Kammer kommen, allda sich unter ihnen allerseits ein gros Gelächter erhoben, da dann der Braut das Prozen vergangen und sie alle drey selbige Nacht wieder beysamen im Bett gelegen.
Zeug hab von dem alten Bender Thieln 6FB Großen-Buseck Nr. 74, deme Zeugens Haus gewest, gehört, daß er zum öfteren gesagt: Wan Leuth oder Vieh uf Mariä Verkündigung [25. März] miteinander zu thun hatten, so weise sich solches auff Weihnachten aus.
Weilen nun der Braut Mutter eben auf diesen Tag undt in 2 Nächten nicht zu Haus, sondern bey Veltens Katten zu Harbach, dargegen die 2 junge Leuth damahls allein beysamen gewesen und bey einander gelegen, habe Zeuge mit Fleiß auff den Erfolg von solchem Mariätag an Gedanken gehabt, und als Rudolphs Frau solchem nach auf den 3ten Christtag zum Kindt kranck geworden und er kommen und Zeugens Frau zu ihr gerufen, habe Zeug gelacht und zu seiner Frau gesagt: Frau, was hab ich als von dem Marientag gesagt, es kommt meiner Sage doch noch nach. Sonsten habe der Zeuge auch eins mahls, als er auff die Lauben kommen, die Hühner herunter zu lassen, undt die Cammerthür eben aufgestanden, gesehen, daß die beyde jungen Leuthe allein und nur in Hembtern beysamen im Bett gelegen.

Zeuge 2: Gertrud, Urban Beckers Weib von Großenb., 38 Jahr alt, … sagt:

Ob zwar Zeugin von ihre Person nichts böses von diesen 2 Personen (Rudolph Dörrn und seiner damaligen braut) gesehen, so seye doch die Sach gar verdächtig, weil Rudolph derzeit fast alle Nacht bey seiner Braut am Bette, worinnen zwar derselben Mutter auch gelegen, geschlafen, woran aber diese viel mehr Schuld gehabt als die dochter, als welche anfangs ungern darzu gewilliget, undt darüber geweinet, von der Mutter aber mit Fluchen und Schelten, daß sie ihrer Mutter nicht folgen wolle, darzu gezwungen worden allermaßen selbige auch dem Bräutigamb, wan Er etwan zu Zeiten eine Nacht anderswo geschlafen
und dan des Morgens zu ihr und der Braut kommen, Vorwürf gethan und gesagt: Wo ihn der Teufel inz die vergangenen Nacht gehabt habe?  Insondheit aber seye diesses bei diesser sache gar nach dem …, daß alß uff Maria Verkündigung tag und die 2. folgente Nächte selbigen Jahres der Braut Mutter zu Harbach, die 2. Junge Leuth aber dann ahlso allein beysa,,en geschlaffen … mehr Rudoph Dörrn Frau, hernach eben uff den 3.ten Christtag ins Kindt bett kommen 7Getauft wurde am 27. Dezember 1672 Catharina, der Eheleute Rudolff Dörr und Anna Gertraudt Tochter. Einzige Patin war “Kerber Catt”, wohl Anna Gertraudts Mutter. , woruff der Zeugin Man, Urban Becker, in zwischen undschiedlich mahl gescherzet undt gesagt: Bender Thiel hatte als Pfleyern zu sagen, wan Leuthe uff Mariä Verkündigung mit einander zuthun hatten, dan weise sich solches uff Christtag auß, deßwegen dan auch Zeugin undt Ihr Man obangeführter Ursach halben auff diessen Tag diesser 2 Personen wegen insonderheit gedancken gehabt, wie dan auch, als Rudolffs Frau den 3.ten Christtag zum Kindt kranck geworden und Rudolff ihr Zeugin gerufen, Ihr Man gelacht undt gesagt hette: Frau! Was hab ich von dem Marien Tag gesagt, es wirdt Meiner sag nach kommen.”

Deutlich werden die Zeugen in Bezug auf die Mutter der Braut, deren Verhalten bis 1969 in der Bundesrepublik Deutschland unter den Kuppeleipragraphen (§ 180 StGb) fiel und mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden konnte.


Quellen:
HStAD = Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

Literatur:
Hanno Müller: Großen-Busecker Familienbuch, Fernwald-Steinbach 1993


  • 1
    HStAD F 28 Nr. 149, war HStAD E 9 Nr. 57/20 – verkürzte Abschrift bei Müller S. 25f
  • 2
    FB Großen-Buseck Nr. 45
  • 3
    FB Großen-Buseck Nr. 205
  • 4
    Beider Eheschließung ist die erste Heirat im Kirchenbuch Großen-Buseck. Sie stammt aus dem Jahr 1672. Das Datum ist nicht ersichtlich. Der folgende Heiratseintrag datiert auf den 12. 7bris (=September) 1672. Sie ist die Tochter des “Schreiners von Augsburg”, ihr Name wird nicht genannt.
  • 5
    wohl attestieren
  • 6
    FB Großen-Buseck Nr. 74
  • 7
    Getauft wurde am 27. Dezember 1672 Catharina, der Eheleute Rudolff Dörr und Anna Gertraudt Tochter. Einzige Patin war “Kerber Catt”, wohl Anna Gertraudts Mutter.
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